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Keine Wartepflicht des Geschädigten auf Restwertangebot des Versicherers

AG Witten, Urteil vom 17.06.2015, AZ: 2 C 108/15

Hintergrund

Die Parteien streiten über restliche Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall. Mit Schreiben vom 17.11.2014 wurde der Schaden unter Beifügung eines Gutachtens gegenüber der Beklagten beziffert. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte die Beklagte u.a. mit:

„Bitte teilen Sie ihrer Mandantschaft mit, dass sie das Fahrzeug erst nach Überprüfung des Restwertes und nach Rücksprache mit uns verkauft“.

Am 19.11.2014 erwarb der Kläger ein Ersatzfahrzeug und veräußerte am 20.11.2014 sein verunfalltes Fahrzeug zu dem im Gutachten ausgewiesenen Höchstgebot. Mit Schreiben vom 24.11.2014 wurde der Schaden des Klägers gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
Erst mit Schreiben vom 25.11.2014 übersandte die Beklagte ein höheres Restwertangebot und rechnete den Schaden auf dieser Grundlage ab.
Der Kläger fordert nun den Differenzbetrag zu dem im Gutachten aufgeführten Restwert.

Aussage

Das AG Witten führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass der Geschädigte im Veräußerungsfall dem allgemeinen Gebot zur Wirtschaftlichkeit genügt, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

Zwar können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, ohne Weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen und durch die günstigere Verwertung seines Fahrzeugs den ihm entstandenen Schaden geringer zu halten, doch müssen derartige Ausnahmen in Grenzen gehalten werden, da sonst die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadenbehebung

  • nicht die Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden.
  • von der Versicherung gewünschten

Vorliegend lag dem Kläger ein konkretes, bindendes und höheres Angebot noch nicht vor. Der Kläger hätte hier nach Auffassung des Gerichts auch nicht im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 17.11.2014 noch zuwarten müssen, da in dem Schreiben unklar war, wann oder bis wann die Beklagte beabsichtigte, ein verbindliches höheres Restwertangebot vorzulegen.

Es kann auch nicht vom Geschädigten verlangt werden, vor einer Veräußerung Rücksprache zu nehmen und somit quasi um Erlaubnis für die Veräußerung zu bitten. Die Frage, wann der Geschädigte sein Fahrzeug veräußert, ist ihm allein überlassen. Wenn der Geschädigte beabsichtigt, zeitnah ein Ersatzfahrzeug zu erwerben und den erzielbaren Restwert zur Finanzierung einsetzt, so ist ihm das grundsätzlich zuzubilligen.

Der Kläger hatte vorliegend auch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die vom Sachverständigen nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH auf dem regionalen allgemeinen Markt ermittelten Angebote zu niedrig sind.
Dem Kläger stand damit eine sofortige Verwertungsmöglichkeit offen, ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht kann nicht darin gesehen werden, dass er nicht vor dem Verkauf nochmals Rücksprache mit der Beklagten genommen hat.
Dem Schädiger bzw. der Versicherung steht es offen, ein günstigeres Angebot zeitnah und so schnell wie möglich zu ermitteln.

Praxis

Das AG Witten weist darauf hin, dass der von einem Sachverständigen ermittelte Restwert nur „in aller Regel“ eine geeignete Grundlage für die Schadenberechnung darstellt. Ausnahmen sind somit nicht ausgeschlossen, müssen sich jedoch in engen Grenzen halten.

Solche sieht der BGH als gegeben, wenn rechtzeitig ein konkretes, bindendes und höheres Angebot vorliegt. Es würde die Ersetzungsbefugnis des Geschädigten jedoch zu stark einschränken, wenn man von ihm verlangt, dass er die Versicherung zuvor quasi um Erlaubnis bitten müsste, sein Fahrzeug zu verwerten. (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2005, AZ: I-1 U 128/05; OLG Köln, Anerkenntnisurteil vom 30.07.2015, AZ: 3 U 46/15; AG Osnabrück, Urteil vom 07.07.2015, AZ: 31 C 369/15 (6)).

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