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Schadenersatzanspruch sofort fällig – Sechs-Monats-Frist muss nicht abgewartet werden

AG Remscheid, Urteil vom 11.08.2015, AZ: 8 C 88/15

Hintergrund

Die Parteien des vor dem AG Remscheid geführten Rechtsstreits stritten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Der Wiederbeschaffungswert betrug 3.800,00 € brutto, der Restwert 2.490,00 € brutto, die Reparaturkosten beliefen sich auf netto 2.872,24 €. Die beklagte Haftpflichtversicherung zahlte zunächst den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 1.310,00 €.

Mit seiner Klage beanspruchte der Kläger die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und den kalkulierten Netto-Reparaturkosten, da er der Auffassung war, aufgrund der Weiternutzung seines Fahrzeugs könne er die Netto- Reparaturkosten – auch vor Ablauf der Sechs-Monatsfrist – verlangen.

Die Beklagte war der Ansicht, die Sechs-Monats-Frist sei insgesamt eine Fälligkeitsvoraussetzung und die Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, könnten nur ersetzt verlangt werden, wenn ein konkreter Reparaturaufwand geltend gemacht würde.

Aussage

Das AG Remscheid entschied: Der Geschädigte kann den Schadenersatz in Höhe der Netto- Reparaturkosten bei fiktiver Abrechnung sofort geltend machen, wenn diese zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und dem Wiederbeschaffungswert liegen. Die Sechs-Monats- Frist muss hierbei nicht abgewartet werden, da der Anspruch sofort und nicht erst nach Ablauf von sechs Monaten fällig ist.

Soweit der Geschädigte wegen der Beschädigung einer Sache Wiederherstellung oder den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen kann, trete die Fälligkeit sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutverletzung ein.

Würde man die Fälligkeit des Schadenersatzanspruches bis zum Ablauf der Sechs-Monats- Frist verschieben, liefe dies auf eine entschädigungslose Vorfinanzierung durch den Geschädigten hinaus.

Das AG Remscheid führt hierzu aus:
„Der BGH hat in dem Fall, in dem der Geschädigte den über dem Wiederbeschaffungswert liegende Fahrzeugschaden, der innerhalb der 130%-Grenze liegt, vollständig und fachgerecht reparieren lässt, die sofortige Fälligkeit bejaht und der Auffassung, dass die den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten erst sechs Monate nach dem Unfall fällig werden, eine Absage erteilt (BGH, MDR 2009, 198 ff.).

Diese Konstellation ist auf den hier vorliegenden Fall grundsätzlich übertragbar, bei dem die Reparaturkosten zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert liegen. Der Begriff der Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann; ist eine Zeit für die Leistung nicht bestimmt, noch aus den Umständen zu entnehmen, kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen.

Soweit der Geschädigte wegen Beschädigung einer Sache Wiederherstellung oder den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen kann, tritt die Fälligkeit in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutverletzung ein (BGH, a.a.O.).

Dass der Umfang der Ersatzpflicht in der Praxis regelmäßig erst nach einiger Zeit festgestellt werden kann, hindert daran grundsätzlich nichts. In dem entschiedenen Fall geht der BGH davon aus, dass der Geschädigte zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30% übersteigt, Reparaturkosten auch bei vollständiger und fachgerechter Reparatur nur verlangen kann, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt. Grund für diese Rechtsprechung ist es, dass bestimmte Schadenspositionen nur dann verlangt werden können, wenn sich der Grund für ihre Zuerkennung als ausreichend beständig erweist. Ersatz des Wiederbeschaffungswertes bedeutet insoweit, dass der Restwert des beschädigten Fahrzeugs bei der Schadensregulierung unberücksichtigt bleibt, was allerdings nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Geschädigte ihn nicht - i.d.R. durch Verkauf - realisiert, so dass er sich nur als hypothetischer Rechnungsposten darstellt, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf, hier genießt das Integritätsinteresse des Geschädigten Vorrang (BGH, a.a.O.).

Der BGH hat die Frage, ab wann ein Integritätsinteresse des Geschädigten im oben genannten Sinne zu bejahen ist, also ein nachhaltiges Interesse an der Weiternutzung des Fahrzeuges, dahingehend beantwortet, dass im Regelfall ein Zeitraum von sechs Monaten notwendig aber auch ausreichend ist bezüglich der Weiternutzung, um sein Integritätsinteresse ausreichend zum Ausdruck zu bringen.

Demnach stellt die 6-Monats-Frist keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dar, sondern hat lediglich beweismäßige Bedeutung. Würde man die 6-Monats-Frist als eigenständige Anspruchsvoraussetzung verstehen, würde dies zu einer unzumutbaren Regulierungspraxis führen, da der Geschädigte bis zu sechs Monaten trotz ordnungsgemäßer Reparatur auf die Zahlung eines Großteils der ihm zustehenden Ersatzforderung warten müsste. Wird die Fälligkeit bis zum Ablauf der 6-Monats-Frist verschoben, könnte der Geschädigte, auch wenn sich sein Begehren als gerechtfertigt erweist, den Schädiger nicht vor Fristablauf in Verzug setzen. Dies liefe auf eine entschädigungslose Vorfinanzierung der Reparaturkosten durch den Geschädigten hinaus.

Demnach ist es nicht gerechtfertigt, die 6-Monats-Frist als eigenständige Anspruchsvoraussetzung anzusehen. Die Tatsache, dass in diesem Falle der Schädiger bzw. die Haftpflichtversicherung bei sofortiger Fälligkeit das Insolvenzrisiko hinsichtlich eines Rückforderungsanspruchs trägt, sofern in der 6-Monats-Frist gezahlt wird, der Geschädigte aber innerhalb der 6-Monats-Frist das Fahrzeug gleichwohl weiter veräußert, muss im Hinblick auf die oben dargestellten gewichtigen Argumente hingenommen werden.

Soweit der Versicherer zahlt, kann er die Zahlung des über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Betrages unter einen Rückforderungsvorbehalt stellen.“

Praxis

Die überwiegende Rechtsprechung fordert bei fiktiver Schadenabrechnung, dass das unfallgeschädigte Fahrzeug noch mindestens sechs Monate lang weitergenutzt wird, wenn der Geschädigte ohne konkreten Nachweis den Ersatz der unfallbedingten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ersetzt verlangt. Diese sechsmonatige Weiternutzungsfrist stellt jedoch keine Fälligkeitsvoraussetzung dar. Vielmehr ist der Anspruch des Geschädigten sofort fällig, was das AG Remscheid mit überzeugenden Argumenten erneut bestätigt. Gegebenenfalls muss der Versicherer seine Zahlung unter einen Rückforderungsvorbehalt stellen, für den Fall, dass der Geschädigte doch innerhalb der Sechs-Monats-Frist sein Fahrzeug weiter veräußert.

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