zurück zur Übersicht

Wertminderung von E-Fahrzeugen ist höher zu bewerten als bei Verbrennern

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.09.2024, AZ: 8 O 4990/23

Hintergrund

Die Parteien streiten über Schadenersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall. Die alleinige Haftung der Schädigerseite steht fest. Der Schaden am klägerischen Fahrzeug wurde sachverständig begutachtet. Dabei wurden Netto-Reparaturkosten in Höhe von 13.996,31 € sowie eine (steuerneutrale) merkantile Wertminderung von 1.400,00 € ermittelt.

Während des Rechtsstreits wurde der VW ID 4 zu einem Bruttopreis von 19.174,41 € repariert und anschließend zu einem Kaufpreis von 31.100,00 € verkauft. Vom Käufer war vor dem Unfall ein Kaufangebot über 41.000,00 € abgegeben worden. Das LG Nürnberg-Fürth sprach dem Kläger weitestgehend vollen Schadenersatz zu, interessant hier sind die Ausführungen zum Minderwert.

Aussage

von 3.750,00 €.
Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts des Fahrzeuges in Höhe Das Gericht folgt bei der Bezifferung des merkantilen Minderwerts nicht der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Dieser nahm eine Berechnung des Minderwerts auf Grundlage der gängigen Modelle BVSK, MFM (“Marktrelevanz- und Faktorenmethode“) und Halbgewachs vor und kam so zu einem Betrag von lediglich 2.500,00 € (für November 2023). Die vom Sachverständigen hinzugezogenen Modelle wurden für konventionelle Verbrenner- Fahrzeugen entwickelt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich jedoch um einen VW ID 4 – also ein Fahrzeug mit ausschließlich batterieelektrischem Antrieb.

Die Brutto-Reparaturkosten dieses sogenannten Elektroautos (“E-Auto“), welchen der Sachverständige mit einem Händlerverkaufswert von 42.125,00 € bezifferte, lagen bei über 19.000,00 €. Auch wenn „nur“ der Heckbereich des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen wurde, führt ein solch hoher Schaden nach Einschätzung des Gerichts zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potentieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt. Zu sehen ist, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeit von Fahrzeugen mit elektronischen Antriebs- und Steuerungssystemen, die erst seit wenigen Jahren markttauglich sind, geringer ausgeprägt ist als ein solches in die Reparaturmöglichkeit von konventionellen Verbrenner-Fahrzeugen. Mit anderen Worten: Die Skepsis eines potentiellen Käufers eines E-Autos, dass ein großer Unfallschaden „nicht richtig“ behoben werden kann bzw. konnte, ist (zumindest heute) größer als diejenige eines potentiellen Käufers eines Verbrenner- Fahrzeuges. Der E-Fahrzeug-Käufer wird sich daher tendenziell eher einem unfallfreien Fahrzeug zuwenden als derjenige eines Verbrenner-Fahrzeuges. Die Wertminderung muss daher höher ausfallen, um den Mangel an Attraktivität auszugleichen.

Das Gericht schätzt mithin gemäß § 287 ZPO, dass die Wertminderung eines Elektroautos um etwa 50 % höher ist als die vergleichbare Wertminderung eines Verbrenner-Fahrzeuges. Im vorliegenden Fall geht das Gericht daher von einem merkantilen Minderwert von 3.750,00 € aus. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, dass der Halter des Fahrzeuges wenige Monate nach dem Unfall gegenüber der V. AG einen deutlich niedrigeren Kaufpreis durchsetzen konnte, obwohl das Fahrzeug zwischenzeitlich in einer Fachwerkstatt repariert worden war.

Entgegen der klägerischen Auffassung kommt es hingegen auf den realisierten Wertverlust nicht an. Dieser hängt unter anderem vom Verhandlungsgeschick des Verkäufers ab. Auch die allgemeine Markt- und Wirtschaftslage und sogar die Jahreszeit können sich auf den Verkaufspreis auswirken.

Praxis

Der vom Gericht bestellte Sachverständige hatte hier den Minderwert auf Grundlage der gängigen Modelle „berechnet“ und nicht ermittelt. Die Ermittlung hat das Gericht übernommen und klargestellt, was die Schadenposition des Minderwerts eigentlich ist. Nämlich die Minderung des Verkaufswertes, der trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Fahrzeugd allein deshalb verbleibt, weil verunfallte Fahrzeuge auf dem Gebrauchtmarkt einen geringeren Preis erzielen als unfallfreie, da beispielwiese verborgene Mängel nicht auszuschließen sind oder das Risko höherer Schadenanfälligkeit besteht.

Begründet hat das Gericht den Aufschlag von 50 % damit, dass alle Minderwertmodelle den Markt gebrauchter Verbrenner abbilden und auf E-Fahrzeuge nicht ohne Weiteres übertragen werden können. Der Markt gebrauchter E-Autos ist ohnehin überschaubar, Interessenten sind nur bei erheblichen Abschlägen bereit, ein vorgeschädigtes E-Fahrzeug zu erwerben.

Allerdings gab es hier einen „konkreten“ Minderwert. Der Kläger hatte vor dem Unfall ein Angebot über 41.000,00 € und konnte das Fahrzeug instand gesetzt nur zu 31.100,00 € an diesen Käufer veräußern. Einen Anspruch auf Ersatz der Minderung um 9.900,00 € versagte das Gericht mit dem Hinweis, der Kläger habe wohl schlecht verhandelt. Das nachzuweisen wäre aber Aufgabe der Beklagten gewesen (Stichwort Schadenminderungspflicht).

Quelle:
Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. -BVSK-

Telefon 0800 500 50 25

 
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste, lesen Sie mehr über die Verwendung in unserer Datenschutzerklärung.