Berücksichtigung von Vorschäden im Gutachten
AG Kiel, Urteil vom 22.12.2021, AZ: 106 C 134/21
Praxis
Hat das Fahrzeug des Geschädigten bereits Vorschäden, so lassen in der Regel die Schreiben der kompletten Verweigerung jeglicher Zahlungen in Form von Sachverständigenhonoraren, Rechtsanwaltshonoraren und der kompletten Schadenregulierung durch die HUK-COBURG nicht lange auf sich warten.
Da der Geschädigte die Beweislast für die entstandenen Kosten trägt, müsse er auch darlegen, in welchem Umfang und in welcher Qualität Vorschäden repariert wurden. Nur in wenigen Fällen kann er dies dezidiert machen. Verschiedene Vorschäden bei Gebrauchtfahrzeugen oder nicht hinreichende Dokumentationen der Reparatur stehen der vollen Regulierung oft im Wege.
Auch für den Sachverständigen ergeben sich Problemfelder, wenn Schäden fachgerecht repariert wurden und für ihn offensichtlich nicht erkennbar sind. Der Versicherer hat hier einen Wissensvorsprung aus der HIS-Datei, aufgrund derer er Vorschäden nachvollziehen kann.
Kann der Sachverständige Vor- und Altschäden ausmachen, ist die plausible Beurteilung dieser in Bezug auf die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts, unerlässlich.
Für den Geschädigten als Auftraggeber muss in erster Linie erkennbar sein, wie sich Vor- und Altschäden auf die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts auswirken. Dies kann auch durch die Beigabe von Annoncen aus dem Internet von vergleichbaren Fahrzeugen geschehen.
Hintergrund
Im vorliegenden Verfahren vor dem AG Kiel klagt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls selbst gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers. Diese steht unstrittig in der Haftung. Strittig hingegen ist jedoch die gesamte Höhe der zu regulierenden Schäden. Der Streitwert wird auf 2.534,00 € festgesetzt.
Der Kläger beauftragte nach dem Verkehrsunfall das Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des Schadens. Dieses kam im Rahmen der Beauftragung zu dem Ergebnis, dass der Wiederbeschaffungswert mit 2.100,00 € und der Restwert des Fahrzeugs mit 370,00 € zu beziffern sei, sodass es vorliegend also um einen Totalschaden ging. Im Rahmen dieses Gutachtens wurde darauf hingewiesen, dass am Kotflügel links ein reparierter Vorschaden bestand.
Eben wegen dieses Vorschadens lehnte die Beklagte mangels hinreichender Darlegung eine Regulierung vollständig ab. Daraufhin fertigte das beauftragte Sachverständigenbüro eine erweiterte Stellungnahme zum Gutachten und zur Ermittlung der Werte – insbesondere im Hinblick auf den Vorschaden – an.
Mit seiner Klage beansprucht der Kläger die Zahlung in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands in Höhe von 1.730,00 €, eine Kostenpauschale in Höhe von 20,00 € und eine Nutzungsausfallentschädigung für neun Tage von insgesamt 207,00 €. Darüber hinaus fordert er von der Beklagten die Freistellung von Sachverständigenkosten in Höhe von 577,00 € sowie die Freistellung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.
Weiterhin behauptet er, dass der vorliegende Vorschaden sich nicht auf den neuen Schaden auswirken würde. Erstens sei dieser ein Bagatellschaden geringer Natur und zweitens an einem komplett anderen Karosserieteil des Fahrzeugs. Die alte Anstoßstelle war der Kotflügel vorne links und würde sich nicht mit dem Auffahrunfall, der hinten lokalisiert ist, überlappen.
Aus der Sicht der Beklagten seien die Werte – insbesondere die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts – nicht hinreichend begründet worden. Man wisse nicht, ob reparierte Vorschäden sach- und fachgerecht repariert worden seien oder ob sie unfachmännisch instand gesetzt worden sind.
Aussage
Die zulässige Klage ist begründet.
„Das Gericht geht auf der Grundlage des vorgerichtlich erstellten Gutachtens und der Aussage des Sachverständigen Zeugen davon aus, dass dem Kläger ein Schaden nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB in Form eines erforderlichen Wiederbeschaffungsaufwandes in Höhe von 1.730,00 € entstanden ist.“
Der Kläger hatte zu dem am Fahrzeug vorhandenen Vorschaden durch Vorlage des Sachverständigengutachtens hinreichend und substanziiert vorgetragen. Der am Fahrzeug vorhandene Vorschaden ist zum Unfallschaden räumlich ohne Weiteres abzugrenzen. Das Fahrzeug wurde am Heck beschädigt und der Vorschaden befand sich am vorderen Kotflügel links. Insbesondere ist dem Kläger kein weiterer Vortrag zu Art und Umfang und Behebung des Vorschadens aufzuerlegen, da dieser das Fahrzeug mit dem vorhandenen Schaden bereits erworben hatte. Zudem habe der Sachverständige zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft bestätigen und bereits vorher im schriftlichen Gutachten ausführen können, dass der Kotflügel links fachgerecht repariert wurde. Ohne Demontage des Kotflügels, wodurch für die Schädigerpartei weitere Kosten entstanden wären, konnte der Sachverständige keine Instandsetzungsarbeiten über den Kotflügel hinaus oder erhöhte Spaltmaße feststellen.
Bei der Ermittlung des Schadens stellt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf die ermittelten Werte des Sachverständigen in seinem Gutachten ab. Danach beträgt der Wiederbeschaffungswert 2.100,00 € und der Restwert brutto 370,00 €. Die durchschnittlichen Angebotspreise betrugen zwischen 1.800,00 € und 3.495,00 €. Die nächste Hauptuntersuchung war in 21 Monaten fällig und über dem Umstand des lackierten Kotflügels hinaus befand sich das Fahrzeug nach dem Gutachten und den ergänzenden Ausführungen des vorgerichtlichen Sachverständigen in einem einwandfreien Zustand. Die ermittelten Werte sind plausibel, weshalb ihnen folgerichtig Folge zu leisten ist.
Darüber hinaus kann der Kläger eine angemessene Nutzungsentschädigung für neun Tage in Höhe von insgesamt 207,00 € beanspruchen ebenso wie Rechtsanwaltskosten und die Kosten für den vorgerichtlich tätigen Sachverständigen in Höhe 577,00 €.