Keine Wartepflicht auf höheres Restwertangebot des Versicherers
LG Schweinfurt, Urteil vom 28.10.2021, AZ: 12 O 522/21
Praxis
Auch nach Ansicht des LG Schweinfurt genügt der Geschädigte seiner Schadenminderungspflicht, wenn er sein Fahrzeug zu dem im Gutachten ermittelten Restwert veräußert. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Sachverständige den Restwert ordnungsgemäß ermittelt hat, also drei Restwertangebote auf dem regionalen Markt eingeholt hat. Eine Verpflichtung zur Ermittlung des Restwertes auf Online-Portalen besteht hierbei nicht. Der Geschädigte muss nach den oben stehenden Ausführungen auch nicht auf ein höheres Restwertangebot des Versicherers warten.
Hintergrund
Die Parteien streiten über restlichen Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten (Haftpflichtversicherer des Unfallgegners) steht dem Grunde nach außer Streit. Im Streit steht zwischen den Parteien die Höhe des Restwertes. Der Kläger ließ sein Fahrzeug nach dem Unfall begutachten. Ausweislich des Gutachtens wurde ein Restwert von 1.320,00 € ermittelt. Zu diesem Preis verkaufte der Kläger sein Fahrzeug am 26.05.2021.
Die Beklagte schaltete eine bundesweite Restwertanzeige und erhielt ein Angebot in Höhe von 6.336,00 € von einer in Berlin ansässigen Firma. Dies wurde dem Kläger am 07.06.2021 mitgeteilt. Die Beklagte legt zur Regulierung des Schadens den höheren Restwert zugrunde und verweigert im Übrigen die Zahlung. Die Differenz von 5.016,00 € bildet die Klageforderung
Aussage
Nach Ansicht des LG Schweinfurt ist die Klage vollumfänglich begründet. Der Kläger muss sich auf den Restwert lediglich in Höhe von 1.320,00 € verweisen lassen. Eine Anrechnung des höheren Restwertes kommt nicht in Betracht.
Der Kläger hat seinem Wirtschaftlichkeitsgebot damit Genüge getan, indem er sein Fahrzeug zu dem in dem Gutachten genannten Restwert veräußerte. Es ist davon auszugehen, dass der Sachverständige den Wert ordnungsgemäß, also auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben, um damit Angebote von räumlich weiter entfernten Interessenten einzuholen oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen.
Zudem ist er nicht gehalten, auf ein höheres Restwertangebot des Versicherers zu warten.
Das Gericht führt hierzu wörtlich aus:
„Auf die Richtigkeit des streitgegenständlichen Gutachtens durfte der Kläger grundsätzlich auch vertrauen. Denn der Sachverständige hat ausweislich des Gutachtens auf dem regionalen Markt bei drei verschiedenen Unternehmen Restwertangebote eingeholt, womit das Schadengutachten den vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen genügt; auch sonst musste für den Kläger kein Anlass bestanden haben, dem Gutachten zu misstrauen.
Der Kläger hat auch nicht deshalb gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen, weil er das Fahrzeug nur sieben Tage nach dem Unfall verkauft hat, ohne zuvor dem Beklagten noch Gelegenheit zu geben, ihm ein höheres Restwertangebot für das Fahrzeug nachzuweisen. Zwar ist es zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des BGH besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben könnten, von einer grundsätzlich zulässigen Verwertung seines Unfallwagens Abstand zu nehmen und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen. Hieraus lässt sich aber keine generelle Verpflichtung des Geschädigten herleiten, ein von ihm eingeholtes Schadengutachten dem gegnerischen Haftpflichtversicherer vor dem Verkauf des Unfallfahrzeugs zugänglich zu machen und ihm einen gewissen Zeitraum zum Nachweis höherer Restwertangebote einzuräumen.“
Zwar mag es sein, dass Versicherer über besondere Expertise in der Einholung von Restwertangeboten verfügen, dies ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt hat, die Behebung des Schadens unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Dieser Grundsatz würde unterlaufen werden, wenn man nun vom Geschädigten erwarten würde, auf höhere Restwertangebote des Versicherers zu warten.
Der Versicherer kann dem zudem entgegenwirken, indem er möglichst frühzeitig Kontakt mit dem Geschädigten aufnimmt und ihn durch verschiedene Anreize dazu bewegt, die Verwertung in die Hände des Versicherers zu geben.