Höhere Mietwagenkosten aufgrund des (ungerechtfertigten) Einwandes eines unreparierten Vorschadens durch die gegnerische Versicherung sind zu erstatten
OLG Naumburg, Beschluss vom 22.10.2021, AZ: 7 U 28/21
Praxis
Obige Fallkonstellation, welche das OLG Naumburg zu bewerten hatte, wird in der Praxis immer häufiger.
Die Versicherer berufen sich auf ihr Prüfungsrecht und zweifeln die Richtigkeit des vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens an. Hierdurch kann es unter Umständen zu erheblichen Verzögerungen kommen. Das OLG Naumburg stellt nunmehr klar, dass das aus den Verzögerungen resultierende Kostenrisiko zulasten der Schädigerseite geht. Dies ist auch nachvollziehbar.
Fordert diese, obwohl eine klare Aussage des Gutachters dazu vorliegt, dass keine Altschäden vorhanden waren, die Nachbesichtigung ein und ergeben sich hieraus Verzögerungen, erhöhen sich hierdurch insbesondere die Mietwagenkosten, so hat der Versicherer die entsprechenden
Mehrkosten auch zu tragen. Wichtig ist in einem solchen Fall den Versicherer allerdings, falls zutreffend, darauf hinzuweisen, dass der Schaden nicht vorfinanziert werden kann, auch nicht durch Kreditaufnahme.
Hintergrund
Der Kläger mietete aufgrund eines nicht verschuldeten Verkehrsunfalls einen Ersatzwagen an. Die verklagte unfallgegnerische Haftpflichtversicherung behauptete, an dem Fahrzeug hätte ein unreparierter Vorschaden vorgelegen. Allerdings hatte der vom Kläger vorgerichtlich beauftragte Gutachter bereits am 01.04.2020 ausdrücklich festgestellt, dass der Vorschaden am Fahrzeug repariert worden war und es ansonsten keine unreparierten Vorschäden geben würde. Die Beklagte wollte dies noch einmal selbst überprüfen.
Sie wurde klägerseits auch darauf hingewiesen, dass der Kläger finanziell nicht in der Lage war, in Vorleistung zu treten und den Schaden auch nicht mittels Kredit vorfinanzieren konnte. Der Kläger war noch nicht einmal in der Lage eine Notreparatur zu finanzieren.
Nach mehrfachen Nachbesichtigungen gab die Beklagte letztendlich am 04.06.2020 die Reparaturkostenzusage. Demgemäß entstanden dem Kläger, welcher während des Ausfallzeitraums auf einen Ersatzwagen angewiesen war, erhebliche Mietwagenkosten, welche das Landgericht mit 6.864,11 € zusprach. Hiergegen wandte sich die Berufung der Beklagten, welcher das OLG Naumburg – mitgeteilt mittels Beschluss – keinerlei Erfolgsaussichten zumaß.
Aussage
Das OLG Naumburg teilte die Auffassung der verklagten Versicherung, dass es nicht zu deren Lasten gehen könne, dass es ihr erst nach längerer Zeit gelungen sei, den aktuellen Schaden unter Ausschluss des Vorschadens sachverständig prüfen zu lassen, nicht. Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trage der Schädiger, wie es umgekehrt zulasten des Geschädigten gehe, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt werde.
Bereits im Gutachten vom 11.04.2020 habe das vom Kläger vorgerichtlich beauftragte Sachverständigenbüro festgestellt, das an dem Fahrzeug keine unreparierten Vorschäden vorhanden gewesen seien. Der Kläger habe die Beklagte auch explizit darüber informiert, dass er nicht vorfinanzieren könne und auch keinen Kredit erhalte. Ein Verschulden des Klägers bei der Entstehung des Schadens lasse sich mithin nicht feststellen.
Hier würde die Beklagtenseite auch die Anforderungen überspannen. Das OLG Naumburg ging hier nicht von der Verpflichtung des Geschädigten aus, einen Kredit aufzunehmen. Es sei grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadenbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte habe Anspruch auf sofortigen Ersatz und sei nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Nachteilen zu ersetzen, die daraus herrührten, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt werde und sich dadurch vergrößere.
Eine Verpflichtung des Geschädigten, einen Kredit aufzunehmen, sei nur ausnahmsweise zu bejahen – z.B. dann, wenn er den Kredit ohne Schwierigkeiten hätte beschaffen können und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet worden wäre. Diese Voraussetzungen lagen im konkreten Fall jedoch nicht vor. Der Kläger legte hier vor Gericht dar, dass seine Kontenstände zum maßgeblichen Zeitpunkt im Negativen waren.