Erstattbarkeit der Kosten der Probefahrt und Corona -Desinfektion bestätigt
AG Siegburg, Urteil vom 19.11.2020, AZ: 107 C 82/20
Praxis
Die zusätzlichen Kosten von aufwendigen Desinfektionsmaßnahmen aufgrund der Corona- Pandemie sind derzeit höchst umstritten. Die Versicherer kürzen diese Position der Reparaturrechnung regelmäßig mit unterschiedlichen Argumenten.
Fakt ist, dass auch durch Schmierinfektionen der Virus übertragen werden kann. Hier gilt es, sowohl die Mitarbeiter der Reparaturwerkstatt als auch die Unfallgeschädigten zu schützen. Es handelt sich auch um zusätzlichen Aufwand, welcher noch nicht in den allgemeinen Stundenverrechnungssätzen eingepreist ist, wie einige Versicherer behaupten. Denn die Corona-Pandemie war zum Zeitpunkt der Kalkulation dieser Stundenverrechnungssätze noch nicht einmal absehbar.
Die Methoden der Kaltvernebelung bzw. der Desinfektion durch sorgfältiges und wiederholtes Abwischen der betroffenen Fahrzeugteile verursachen nicht unerheblichen Zusatzaufwand. Dieser ist allerdings als unfallbedingt anzusehen und somit auf Schädigerseite zu ersetzen. Inhaltlich hat sich das AG Siegburg gar nicht mit der Erforderlichkeit dieser Position auseinandergesetzt. Es betonte völlig zutreffend, dass das Werkstatt- und Prognoserisiko auf Schädigerseite liegt.
Hintergrund
Die Klägerin machte restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Verklagt war die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners. Deren Eintrittspflichtigkeit stand fest. Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug reparieren und reichte die Reparaturrechnung bei der gegnerischen Versicherung ein. Diese kürzte die Rechnung um 84,00 €, wobei sich 36,00 € auf die Kosten der Probefahrt und 2 x 24,00 € auf Desinfektionsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bezogen. Die Beklagte hielt diese Positionen für nicht erforderlich und erstattbar. Das AG Siegburg sah dies anders.
Aussage
Das AG Siegburg setzte sich nicht damit auseinander, ob die Kosten der Probefahrt bzw. der Desinfektion tatsächlich objektiv notwendig gewesen wären. Hierauf käme es nicht an. Zwar seien gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nur Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte, allerdings seien in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne Schuld des Geschädigten durch – gegebenenfalls – unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Das sogenannte Werkstatt- und Prognoserisiko sah hierbei das AG Siegburg klar auf Seiten des Schädigers (so auch BGH, NJW 1992, S. 302 bzw. LG Saarbrücken, Urteil vom 23.01.2015, AZ: 13 S 199/14).
Die konkrete Reparaturrechnung indiziere zudem die Erforderlichkeit. Ein Auswahlverschulden auf Klägerseite sah das AG Siegburg als nicht gegeben an. Darauf, dass die Klägerin die Rechnung bereits bezahlt hat, käme es nicht an. Nachdem die Beklagte ernsthaft und endgültig die Regulierung verweigert hatte, könne die Klägerin auf Zahlung klagen.