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Fiktive Schadenabrechnung und Verweisung auf günstigere Werkstätten – auf welchen Zeitpunkt kommt es an?

BGH, Urteil vom 18.02.2020, AZ: VI ZR 115/19

Praxis

Das Urteil des BGH ist äußerst praxisrelevant.
Grundsätzlich können Versicherer insbesondere bei fiktiver Abrechnung auf günstigere Werkstätten in der Region verweisen. Dies ist auch gängige Praxis der Versicherer.

Im Prozess sollte der Anwalt des Geschädigten auf die Entscheidung des BGH verweisen. Denn häufig sind die Zahlen, welche der Versicherer benennt, bereits völlig veraltet. Die benannten Referenzbetriebe berechnen zum Zeitpunkt des Prozesses häufig deutlich höhere Stundenverrechnungssätze, worauf es aber nach der Entscheidung des BGH in der Regel ankommt.

Notfalls muss das angerufene Gericht nach entsprechendem Vortrag dieser Frage nachgehen. Es sollte also stets geprüft werden, ob die damaligen Preise, auf welche die Versicherung bei fiktiver Abrechnung verwiesen hat, tatsächlich noch erhältlich sind. Da zwischen Schadenabrechnung und Prozess durchaus lange Zeiträume liegen können, wird dies häufig nicht mehr der Fall sein.

Hintergrund

Im konkreten Fall, mit welchem sich der BGH als Revisionsinstanz befassen musste, machte die Klägerin fiktive Reparaturkosten resultierend aus einem Verkehrsunfall vom 09.12.2016 geltend. Verklagt war die unfallgegnerische Haftpflichtversicherung, deren Eintrittspflichtigkeit dem Grunde nach feststand.

Die Klägerin wollte es bei der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten belassen und verwies auf das vorgerichtlich eingeholte Beweissicherungsgutachten, welches Reparaturkosten in Höhe von 5.080,40 € netto ermittelte. Die Beklagte übersandte einen Prüfbericht und zahlte lediglich 3.599,91 €. Sie verwies auf einen angeblich günstigeren Reparaturbetrieb in der Region.

Die Klägerin forderte den Differenzbetrag in Höhe von 1.480,49 € zunächst vor dem AG Homburg (Urteil vom 17.07.2018, AZ: 23 C 84/17) ein. Dieses sprach Kosten für die Beilackierung in Höhe von 205,65 € zu. Das Berufungsgericht (LG Saarbrücken, Urteil vom 01.03.2019, AZ: 13 S 119/18) sprach der Klägerin zusätzlich noch Ersatz für UPE-Aufschläge in Höhe von 92,29 € zu.

Es ließ die Revision zu und die Klägerin wandte sich in der Revision vor dem BGH gegen die Verweisung auf niedrigere Stundenverrechnungssätze bei der Referenzwerkstatt B. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies an die Vorinstanz zurück.

Aussage

Der BGH monierte, dass sowohl das AG Homburg als auch das Berufungsgericht die günstigeren Stundenverrechnungssätze der von der Beklagten benannten günstigeren Werkstatt B zugrunde legte. Feststand im Revisionsverfahren, dass zum Zeitpunkt, als die Beklagte die Klägerin auf diese günstigere Werkstatt verwies, diese Stundenverrechnungssätze dort auch tatsächlich berechnet wurden. Der BGH überprüfte auch nicht mehr, dahingehend war er an die Entscheidung der Vorinstanz gebunden, ob eine Reparatur dort tatsächlich gleichwertig war. Diese Umstände standen in der Revision als gegeben fest.

Der Geschädigte müsse sich bei fiktiver Schadenabrechnung vom Schädiger auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlege und beweise, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspreche und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlege, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden.

Kernaussage des BGH ist, dass der für die Bemessung des Schadenersatzanspruchs in Geld maßgebliche Zeitpunkt derjenige ist, zu dem dem Geschädigten das volle wirtschaftliche Äquivalent für das beschädigte Recht zufließt. Es geht also um den Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung. Wenn noch nicht vollständig erfüllt sei – wie hier bei fiktiver Schadensabrechnung gegeben – sei prozessual letztmöglicher Beurteilungszeitpunkt für die Höhe des Schadenersatzanspruchs der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Diese Grundsätze dienten in erster Linie dem Schutz des Gläubigers gegen eine verzögerte Ersatzleistung des Schuldners.

Der BGH führte wörtlich aus:

„Diese Loslösung des Schadensersatzanspruchs von den tatsächlich getätigten (aber nicht vorgetragenen) Herstellungsmaßnahmen und Aufwendungen ändert aber nichts daran, dass nach den oben angeführten Grundsätzen Preissteigerungen, die für eine fiktive Reparatur in der Referenzwerkstatt anfallen würden, bis zur vollständigen Bezahlung des objektiv zur Schadensbeseitigung erforderlichen Betrags (bzw. revisionsrechtlich bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung) grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind.“

Anders als die Vorinstanz sah der BGH auf Seiten des Geschädigten auch keinen Verstoß gegen Schadenminderungspflichten bei späterer Abrechnung fiktiver (und nunmehr höherer) Reparaturkosten als gegeben an. Ein Verstoß gegen Schadenminderungspflichten des Geschädigten setze voraus, dass der Geschädigte es schuldhaft unterlassen habe, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dies richte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben.

Grundsätzlich sei es allerdings Sache des Schädigers, die Schadenbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte sei berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredite zur Schadenbehebung aufzunehmen. Eine Verpflichtung des Geschädigten, die Schadenbeseitigung zeitnah nach dem schädigenden Unfall vorzunehmen, sei mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar.

Der BGH gab der Berufungsinstanz auf, festzustellen, inwieweit die Referenzwerkstatt B. die Preise für die erstattungsfähige Reparatur erhöht habe.

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