Anforderungen an die Darlegung des Vorhandenseins eines Sachmangels in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung
BGH, Urteil vom 28.01.2020, AZ: VIII ZR 57/19
Praxis
Vom allseits bekannten Abgasskandal waren die Motoren des Typs „EA189“ betroffen. Im Fokus war vor allem der Hersteller VW.
Nunmehr beschäftigen sich die Gerichte mit angeblich vorhandenen weiteren Abschalteinrichtungen, wozu auch das sogenannte Thermofenster gehört. Hier sind auch Modelle anderer Hersteller betroffen, so auch im konkreten Fall, mit welchem sich der BGH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde, welcher allerdings nicht stattgegeben wurde, beschäftigte.
Diese neuen Klagen werden von den Gerichten (meist erstinstanzlich beim Landgericht) sehr häufig mit dem Argument abgewiesen, die klägerische Partei habe nicht ausreichend zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Den beantragten Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht nachzugehen.
Hier stärkt nunmehr der BGH die Rechte des Fahrzeugkäufers und auch dessen prozessuale Situation. Der Käufer muss nicht im Detail das Vorliegen einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung belegen. Insbesondere ist es nicht notwendig, dass bereits eine konkrete Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes vorliegt. Damit hat sich die Ausgangslage der Hersteller, welche meist im Rahmen derartiger Prozesse auf Schadenersatz verklagt werden, verschlechtert.
Es ist mit einer Zunahme derartiger Klagen zu rechnen, wobei abzuwarten bleibt, wie derartige Klagen zukünftig in der Praxis gehandhabt werden, nachdem sich der zugrunde liegende Sachverhalt von demjenigen bezogen auf die sogenannten EA189-Motoren unterscheidet. Die Problematik unzulässiger Abschalteinrichtungen wird jedenfalls noch lange die Justiz beschäftigen und es ist noch kein Ende der Klagewelle in Sicht.
Hintergrund
Selten beschäftigt sich der BGH mit der Problematik von Abschalteinrichtungen bei Pkw und den hieraus unter Umständen resultierenden Ansprüchen von Käufern. Im konkreten Fall ging es um den Motorentyp OM 651.
Der Kläger monierte in den Vorinstanzen (OLG Celle, Urteil vom 07.02.2019, AZ: 7 U 263/18 und LG Verden, Urteil vom 05.07.2018, AZ: 5 O 241/18), dass ihm ein mit diesem Motor ausgestattetes Fahrzeug verkauft worden sei. Der Motor sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters versehen worden.
Es handele sich hierbei um einen Sachmangel. Gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB bestünden entsprechende Sachmangelansprüche, auf welche sich der Kläger als Fahrzeugkäufer auch stützte.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage vor allem deshalb ab, weil nach Ansicht des Gerichts der Kläger nicht schlüssig dargetan habe, wie er zu der Einschätzung gelangt sei, dass sein Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge. Es hätte an jeglichen Anhaltspunkten dahin gefehlt, dass das Fahrzeug des Klägers eine Abgasmanipulation aufgewiesen hätte. Die im Internet abrufbare Liste der von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffenen Fahrzeuge hätte keine Fahrzeuge der [...] aufgeführt. Somit habe sich der Kläger letztlich auf bloße Mutmaßungen und Spekulationen beschränkt.
Der vom Kläger gestellte Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens stelle unzulässigen „Ausforschungsbeweis“ dar.
Zwar wies der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zurück, machte allerdings dennoch Ausführungen zur sogenannten Substantiierungspflicht des Klägers bezüglich des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Aussage
Der BGH stellte fest, dass das Ausgangsgericht die Anforderungen an die Substantiierungspflicht überspannt habe. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger, der mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in seinem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes keine genauen Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung einer Abschalteinrichtung haben könne, ausreichend greifbare Anhaltspunkte vorgebracht habe, auf die er letztlich seinen Vorwurf stützte, sein Fahrzeug sei in zweifacher Hinsicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG ausgestattet.
Dieses Vorbringen des Klägers sei deshalb nicht unbeachtlich, weil der Kläger die Plausibilität seiner Behauptungen nicht darlegt habe. Hierbei verkenne das Berufungsgericht, dass der Kläger mangels eigener Sachkunde und weiterer Erkenntnismöglichkeiten – die anderen mit dem Motor OM 651 ausgestattete Fahrzeugtypen betreffende Bescheide des Kraftfahrtbundesamts, gegen die die Beklagte Widerspruch eingelegt hat, sind (soweit ersichtlich) nicht veröffentlicht – letztlich auf Vermutungen angewiesen wäre und diese naturgemäß nur auf einige greifbare Gesichtspunkte stützen könne.
Demnach könne vom Kläger – anders als das Berufungsgericht annahm – nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlege, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgehe und wie diese konkret funktionierten.
Der BGH sah es als ausreichend an, dass der Kläger greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. Dies hatte der Kläger allerdings getan. Er habe – wenn auch nur in groben Zügen – die von ihm befürchteten Auswirkungen einer solchen Abschalteinrichtung auf den Stickoxidausstoß im realen Fahrbetrieb und auf dem Prüfstand beschrieben.
Ausreichend erachtete der BGH den Vortrag des Klägers, dass das erworbene Fahrzeug mit einem Motor des Typs OM 651 ausgestattet war. In einem Schriftsatz hatte der Kläger auch vorgetragen, dass Mitte Juli 2017 aufgrund von Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart im Rahmen eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens bekannt geworden sei, dass in Motoren der Typen OM 651 und OM 642 unzulässige Thermosoftware verbaut worden war.
Das Berufungsgericht selbst habe in einem Hinweisbeschluss und später dann im angefochtenen Zurückweisungsbeschluss ausgeführt, es sei bekannt geworden, dass die Beklagte auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes einen verpflichtenden Rückruf für M.- Motoren durchzuführen habe. Welche Fahrzeuge unter diese angeordnete Rückrufaktion im Einzelnen fielen, lasse sich der im Internet https://www.d.com/innovation/diesel/ rueckruf-faq.html abrufbaren Liste, Stand 14.09.2018, entnehmen. Aus dieser Liste ergebe sich, dass bereits im Jahr 2018 mehrere Fahrzeugtypen der Beklagten, die mit dem Motor OM 651 ausgestattet gewesen seien, von einer Rückrufaktion betroffen gewesen wären.
In der Zusammenschau hielt der BGH den Vortrag dieser Umstände für ausreichend. Das Vorbringen des Klägers sei deshalb gerade nicht „ins Blaue hinein“ erfolgt, sondern schlüssig und erheblich.
Es bedürfe gerade nicht einer konkreten Rückrufaktion seitens des Kraftfahrtbundesamtes. Damit überspanne das Berufungsgericht die Anforderungen an eine substantiierte und schlüssige Darlegung eines in dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegenden Sachmangels.