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Fiktive Abrechnung weiterhin zulässig

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18.06.2019, AZ: 22 U 210/18

Auswirkungen

Der eine oder andere hatte sich bereits über die Entscheidung des LG Darmstadt gefreut. Glücklicherweise scheut sich das OLG Frankfurt nicht, die Vorinstanz geradezu schulmeisterlich in die Schranken zu verweisen.

Hintergrund

Das OLG Frankfurt hat die Auffassung des LG Darmstadt (Urteil vom 24.10.2018, AZ: 23 O 356/17), dass eine fiktive Abrechnung eines Sachschadens auf der Grundlage eines Schadengutachtens unzulässig sei, als eindeutig rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Das LG Darmstadt hatte in einer bemerkenswerten Entscheidung darauf hingewiesen, dass bei fiktiver Abrechnung eine Abrechnung auf Gutachtenbasis unzulässig ist. Dies hat das LG Darmstadt aus einer Gerichtsentscheidung des BGH vom 22.02.2018 (AZ: VII ZR 46/17) geschlussfolgert.

Hier hatte der BGH für werkvertragliche Ansprüche die fiktive Schadenabrechnung ausgeschlossen.

Diese Grundsätze wollte das LG Darmstadt aber auf die Möglichkeit der fiktiven Schadenabrechnung bei Schadenersatzansprüchen im Kfz-Bereich anwenden. Wörtlich hatte das LG Darmstadt aufgeführt:

„Das erkennende Gericht ist zu der rechtlichen Überzeugung gelangt, dass die in jeder Hinsicht zu begrüßende Aufgabe der fiktiven Schadensberechnung schon aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung auf das gesamte Schadensersatzrecht zu übertragen ist. Völlig zu Recht hat der VII. Zivilsenat zur Begründung seiner Kehrtwende darauf hingewiesen, dass eine Schadensbemessung nach fiktiven Mangelbeseitigungskosten das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht - vor allem im Baurecht - nicht mehr zutreffend abbildet und häufig zu einer nach allgemeinen (!) schadensrechtlichen Grundsätzen nicht mehr zu rechtfertigenden Überkompensation des Geschädigten führt, (7) mithin zu einer Bereicherung, die mit dem das gesamte Schadensersatzrecht prägenden Grundsatz der Restitution in Natura oder in Geld ohnedies nie wirklich in Einklang zu bringen war und es zunehmend weniger ist. Das ist nun aber keine Problematik, die sich allein aus Besonderheiten des Werkvertragsrechts speist. So wird auch in der Literatur mit Recht darauf hingewiesen, dass zunächst einmal nicht begründbar ist, weshalb diese Grundsätze im Bereich der kaufrechtlichen Gewährleistung nicht gelten sollen, weshalb dann konsequenterweise auch dort die Möglichkeit des fiktiven Schadensersatzes beendet ist. […] Aus tatrichterlicher Sicht der Instanzgerichte und auch den Erfahrungen des erkennenden Gerichts ist allerdings die Aufgabe des fiktiven Schadenersatzes über das Werkvertragsrecht […] hinaus überfällig, weil sich auch hier die Problematik der erheblichen Überkompensation des Geschädigten in gleicher Tragweite stellt.“

Aussage

Das OLG Frankfurt a. M. hat nun dankenswerterweise eindeutig festgestellt, dass die Auffassung der Vorinstanz rechtsfehlerhaft ist.

Gemäß § 249 BGB besteht ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Ziel des Schadenersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadenbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadenersatzes frei. Diese Klarstellung, die eigentlich selbstverständlich ist, war offenbar notwendig, um die an den Haaren herbeigezogene Rechtsprechung des LG Darmstadt als rechtsfehlerhaft zu kennzeichnen.

In seinem Beschluss weist das OLG Frankfurt darauf hin, dass die fiktive Abrechnung sich auf Sachschäden bezieht. Bei Nichtvermögensschäden besteht ohnehin keine Verwendungsfreiheit des Geschädigten. Grund und Begrenzung der fiktiven Abrechnungsmöglichkeit ergeben sich aus der Wechselwirkung von Dispositionsfreiheit, Wirtschaftlichkeitspostulat und Bereicherungsverbot – so das OLG Frankfurt. Das OLG Frankfurt macht auch deutlich, dass ein Bedürfnis für die Abschaffung der fiktiven Abrechnung nicht erkennbar ist.

Die Auslegung des LG Darmstadt stelle eine Abgleichung von dem in § 249 BGB modifizierten Grundsatz der Dispositionsfähigkeit des Geschädigten dar – eine Form der Rechtsfortbildung contra legem.

Selten erteilt ein Obergericht einer Vorinstanz eine derartige Ohrfeige, wie dies nun das OLG Frankfurt getan hat. Ausdrücklich weist es darauf hin, dass gerade kein Auslegungsermessen in der vom LG Darmstadt vorgenommenen Form zugelassen ist. Die vom OLG Frankfurt gewählte Sprache lässt an Eindeutigkeit nicht zu Wünschen übrig. Hier führt das Gericht aus:

„Wenn das Landgericht zur Begründung seiner Auffassung ausführt, dass die fiktive Abrechnung das Einfallstor zur Betrügereien sei, übersteigt dies zum einen seine Kompetenz, da der Gesetzgeber die fiktive Abrechnung vorsieht. Zum anderen ist das Argument auch nicht ohne weiteres tragfähig.“

Das OLG Frankfurt weist darauf hin, dass das LG Darmstadt offenbar mit Unterstellungen arbeitet, ohne konkrete Zahlen zu benennen und es gibt den unmissverständlichen Hinweis, dass es nicht die Aufgabe eines Gerichtes ist, eine dogmatische Neujustierung vorzunehmen, sondern dies ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers sein kann. Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Senat der Vorinstanz auch noch eine Lehrstunde in der Interpretation, der vom LG Darmstadt selbst angesprochenen Entscheidung des VII. Senats gibt. Weiter weist das OLG Frankfurt darauf hin, dass der Geschädigte sehr wohl berechtigt ist, im Rahmen der Restitution bei fiktiver Abrechnung auch günstigere Reparaturmethoden zu wählen. Dies hat allerdings nicht das Geringste mit dem erforderlichen Reparaturaufwand, der im Gutachten aufgeführt ist, zu tun.

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