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Geschädigter kann Abschleppkosten wie auch Sachverständigenkosten als Unfallschaden vollständig ersetzt verlangen

AG München, Urteil vom 27.03.2019, AZ: 344 C 18998/18

Praxis

Selbst Gerichte verkennen in der Rechtsprechungspraxis, dass es bei der Geltendmachung von gekürzten Schadenpositionen aus einem Verkehrsunfall nicht darum geht, ob die Rechnung dem Ortsüblichen entspricht und angemessen ist. Diese Umstände spielen nur mittelbar eine Rolle.

Unmittelbar relevant ist, ob der Geschädigte als Kläger erforderlichen Wiederherstellungsaufwand einfordert. Dieser ist nicht mit dem ortsüblichen und angemessenen Aufwand automatisch gleichzusetzen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Geschädigte regelmäßig nur über eingeschränkte Erkenntnis- und Einsichtsfähigkeiten verfügt und es für ihn nur in Ausnahmefällen erkennbar sein dürfte, dass ein berechneter Betrag offensichtlich deutlich überhöht war und somit nicht erstattet verlangt werden kann.

Dies muss bei der Argumentation gegenüber der unfallgegnerischen Versicherung wie auch bei der Argumentation vor Gericht hervorgehoben und herausgearbeitet werden. Ansonsten wurde die BVSK Befragung als geeignete Schätzgrundlage zur Ermittlung erforderlicher Sachverständigenkosten bestätigt.

Hintergrund

Der Kläger erlitt unverschuldet am 06.10.2017 einen Verkehrsunfall in Hamburg. Hierbei stand die Eintrittspflichtigkeit der Beklagten (Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners) dem Grunde nach zu 100 % fest. Das klägerische Fahrzeug musste abgeschleppt werden, wofür Kosten in Höhe von 424,22 € entstanden. Des Weiteren beauftragte der Geschädigte ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung seines Fahrzeugschadens, für welches im 1.506,68 € berechnet wurden.

Vorgerichtlich stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, bei diesen Beträgen handele es sich nicht um erforderlichen Unfallschaden, die Kosten seien überhöht. Sie erstattete auf die Abschleppkosten lediglich 252,25 € und auf die Sachverständigenkosten lediglich 1.426,93 €. Nachdem außergerichtliche Einigungsversuche scheiterten, war der Kläger gezwungen, vor dem AG München als zum Sitz der Beklagten zuständiges Gericht die Schadendifferenzen einzuklagen. Sowohl bezüglich der Sachverständigenkosten wie auch bezüglich der Abschleppkosten war die Klage vollumfänglich erfolgreich.

Aussage

Im Hinblick auf die Sachverständigenkosten nahm das AG München Bezug auf die regionale Rechtsprechung (OLG München, Beschluss vom 14.12.2015, AZ: 10 U 579/15), nach welcher die erforderlichen Sachverständigenkosten anhand der BVSK-Honorarbefragung 2015 geschätzt werden können. Das angemessene Grundhonorar exklusive Mehrwertsteuer bestimme sich nach dem BVSK-2015-HB-V-Korridor, wobei grundsätzlich der untere Betrag des Korridors anzuwenden sei. Hinzukommen 50 % Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt sei, und/ oder 50 % Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige seinen Sitz in München oder im Landkreis München habe. Bezüglich der Nebenkosten bestätige die BVSK-Befragung 2015 Fahrtkosten von 0,70 € pro Kilometer, Fotokosten von 2,00 € je Lichtbild und 0,50 € je Lichtbild des 2. Fotosatzes, pauschale Porto- und Telefonkosten von 15,00 € wie auch Schreibkosten in Höhe von 1,80 € pro Seite bzw. 0,50 € pro Kopie.

Zwar war der Sitz des beauftragten Sachverständigenbüros nicht in München, sondern in Hamburg, allerdings berücksichtigte das AG München dennoch einen Aufschlag auf das Grundhonorar, weil es sich ebenfalls um einen Sitz im großstädtischen Raum gehandelt habe.

Nicht zugesprochen wurden separat abgerechnete Kosten für die Restwertabrufe. Zwar war sodann das Ergebnis, dass die konkret berechneten Sachverständigenkosten leicht übersetzt waren (Vergleichswert 1.428,83 €, konkret berechnet 1.506,68 €). Hierzu führte das AG München allerdings aus:

„Es ist aber zu sehen, dass der Beschluss des OLG München vom 14.12.2015 lediglich eine Fortschreibung des OLG-Beschlusses vom 12.07.2015 (10 U 579/15) darstellt, sodass die Sachverständigenkosten hier nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung dennoch voll erstattungsfähig sind. Denn die Rechnung ist nicht in einer Weise überhöht, dass selbst ein Laie die Überhöhung erkennen hätte müssen und als wirtschaftlich denkender Mensch die Sachverständigenrechnung nicht bezahlt hätte. Eine eklatante und auch für den Laien erkennbare Überhöhung erscheint auf den ersten Blick bei Reparaturkosten bzw. einem Wiederbeschaffungswert von über 13.000,00 € und Sachverständigenkosten von netto € 1.266,12 nicht der Fall zu sein [...].“

Allerdings ist eine subjektbezogene Schadenbetrachtung nach Ansicht des AG München dann nicht mehr vertretbar, wenn der Sachverständige nicht durch den Geschädigten allein, sondern nach Vermittlung einer Werkstatt oder eines Rechtsanwalts beauftragt wird („Schadensservice aus einer Hand“).

In diesen Fällen habe der Geschädigte darzulegen und zu beweisen, dass die von ihm verlangten Sachverständigenkosten erforderlich, weil branchenüblich im Sinne des § 632 Abs.2 BGB seien. Diesbezüglich sah das AG München allerdings den Vortrag auf Beklagtenseite als nicht ausreichend an. Notwendig wäre der substantiierte Vortrag einer Indizienkette, welche belegen würde, dass es sich um einen „Schadensservice aus einer Hand“ gehandelt habe.

Im konkreten Fall sprach dagegen, dass die Besichtigung durch den Sachverständigen nicht in einem Reparaturbetrieb erfolgte. Weiterhin erfolgte keine konkrete Reparatur. Dem Gutachten wurden Stundenverrechnungssätze eines markengebundenen Fachbetriebs zugrunde gelegt. Eine Besichtigung erfolgte auf dem Gelände des Pannen- und Abschleppservices. Das AG München ging mithin nicht vom Vorliegen eines „Schadensservice aus einer Hand“ aus, bei welchem der Kfz Betrieb den Sachverständigen vermittelt.

Bezüglich der Abschleppkosten betonte das AG München ebenfalls die subjektive Schadenbetrachtung. Dahingehend sei eine eklatante und auch für den Laien auf den ersten Blick erkennbare Überhöhung der Rechnung nicht gegeben gewesen. Der Geschädigte müsse vor der Beauftragung des Abschleppunternehmens auch keine Marktforschung betreiben bzw. Kostenvoranschläge einholen.

Telefon 0800 500 50 25

 
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