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Schätzung erforderlicher Mietwagenkosten, Eil- und Notsituation sowie berechtigte Anmietdauer

LG Stendal, Urteil vom 25.11.2021, AZ: 22 S 34/21

Praxis

Verlängert sich die Anmietdauer, ist es in der Praxis von großer Bedeutung, die gegnerische Versicherung darauf hinzuweisen und zu warnen. Falls zutreffend, muss also die Versicherung darüber informiert werden, dass der Geschädigte zur Vorfinanzierung des Schadens nicht in der Lage ist, einen Mietwagen in Anspruch nimmt und sich bei Verzögerung der Regulierung eine erhebliche Schadenvergrößerung ergeben kann. Es ist dann an der Schädigerversicherung, die Chance der Schadenminderung zu ergreifen und zum Beispiel vorzufinanzieren bzw. einen ausreichenden Vorschuss zu leisten. Tut sie dies nicht, hat im Falle der Klage der Geschädigte gute Argumente, um die verlängerte Dauer und die damit im Zusammenhang stehenden höheren Kosten zu begründen. Nachdem im konkreten Fall auch eine Eil- und Notsituation vorlag und der Kläger noch am Unfalltag anmietete, bestätigte das LG Stendal die Tarifhöhe ohne die sonst übliche Schätzung der Mietwagenkosten nach der „Fracke“-Methode.

Hintergrund

Gegenstand des Verfahrens waren unter anderem restliche Schadenersatzansprüche in Form von ausstehenden Mietwagenkosten resultierend aus einem Verkehrsunfall vom 03.10.2020. Zur Überbrückung des Ausfallzeitraums seines verunfallten Fahrzeugs mietete der Kläger vom 03.10.2020 bis 31.10.2020 einen Ersatzwagen an. Hierfür wurden ihm 2.723,43 € seitens der Autovermietung berechnet. Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, deren Eintrittspflichtigkeit dem Grunde nach feststand, zog hiervon 745,65 € ab.

In der zweiten Instanz konnte der Kläger letztendlich weitere 473,31 € durchsetzen.

Aussage

Das LG Stendal führte aus, dass grundsätzlich nur der Normaltarif erstattbar sei. Anderenfalls müsse der Geschädigte darlegen und nachweisen, dass höhere Preise mit Berücksichtigung der Unfallsituation betriebswirtschaftlich gerechtfertigt seien oder dass es ihm bei der Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten im Rahmen des Zumutbaren nicht möglich war, auf dem örtlich und zeitlich relevanten Markt einen Pkw preisgünstiger zu mieten.

Obwohl die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten über dem Normaltarif lagen, sah sie das LG Stendal als erforderlich an. Den Normaltarif ermittelte das LG Stendal nach der sogenannten „Fracke“ Methode. Denn der Kläger hatte –unterstützt vom Streithelfer – konkret eine besondere Eil- und Notfallsituation sowie eine Nichtverfügbarkeit anderweitiger günstigerer Angebote dargelegt. Dem hatte die Beklagte nichts entgegengesetzt.

Obwohl also die konkret berechneten Mietwagenkosten über dem nach der „Fracke“-Methode berechneten Vergleichstarif (ortsüblicher Normaltarif) lagen, wurden sie zugesprochen.

Auch beanstandete es die Mietwagendauer von 19 Tage nicht.

Trotz der fiktiven Abrechnung sei der Anspruch nicht auf die im Schadengutachten ausgewiesene Reparaturdauer von vier Kalendertagen beschränkt. Dem Geschädigten sei es unbenommen, dem Schädiger – neben der in dem Schadengutachten ausgewiesenen Reparaturdauer – alle Zeiträume in Rechnung zu stellen, die der eigentlichen Wiederbeschaffung bzw. Reparatur vorausgingen und innerhalb derer er unfallbedingt auf sein Fahrzeug verzichten musste. Das LG Stendal ging demnach davon aus, dass auch der Zeitraum bis zur Vorlage des Gutachtens bei der Bestimmung der Ausfalldauer zu berücksichtigen ist. Zu berücksichtigen sei dann auch noch eine angemessene Überlegungsfrist (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.2019, AZ: 1 U 115/18).

Auf Klägerseite sah das LG Stendal keinen Verstoß gegen Schadenminderungspflichten vorliegen. Der Kläger habe gleich am Unfalltag des 03.10.2020 angemietet. Den Schaden habe er unverzüglich nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens per anwaltlichem Schreiben vom 07.10.2020 beziffert. Die Beklagte wurde mit Fristsetzung zum 21.10.2020 zur Zahlung aufgefordert. Zudem wurde die Beklagte per E-Mail vom 16.10.2020 gewarnt und darauf hingewiesen, dass der Kläger zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht in der Lage sei. Hier wurde auch mitgeteilt, dass, solang das Geld von der Beklagten nicht zur Verfügung stehe, der Reparaturauftrag nicht erteilt werde. Der Kläger könne die Reparatur auch nicht in Eigenregie ausführen.

Weiterhin wurde der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger den Mietwagen solang in Anspruch nehmen müsse. An Eigenersparnis nahm das LG Stendal einen Abzug in Höhe von 10 % vor.

Die Klage war vor diesem Hintergrund in der Berufung überwiegend erfolgreich.

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