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Erforderlichkeit von Mietwagenkosten trotz geringem Fahrbedarf

AG Ulm, Urteil vom 11.09.2019, AZ: 4 C 1161/18

Praxis

In der Praxis sollte der Geschädigte stets darauf hingewiesen werden, dass die Erstattung von Mietwagenkosten grundsätzlich auch einen gewissen Fahrbedarf auf Geschädigtenseite voraussetzt. In der Regel wird davon ausgegangen, dass der Geschädigte, welcher sodann mit dem Mietwagen täglich im Durchschnitt mindestens 20 Kilometer zurücklegt, nicht gegen Schadenminderungspflichten bei der Anmietung verstößt. In der Praxis sollte der Geschädigte stets auf diesen Umstand hingewiesen werden, sodass bereits vor der Anmietung der entsprechende Fahrbedarf des Geschädigten nachgeprüft werden kann.

Es gibt allerdings keine Regel ohne Ausnahme. Somit können in zahlreichen Fällen die Mietwagenkosten auch dann eingefordert werden, wenn der tatsächliche Fahrbedarf geringer war. Im konkreten Fall diente als Argument der Umstand, dass der Kläger auf dem Land lebte und es ihm also trotz eines geringeren Fahrbedarfs nicht zumutbar war, auf öffentlichen Nahverkehr, welcher unter Umständen gar nicht vorhanden ist, zurückzugreifen.

Das AG Ulm stärkt die Rechte des Geschädigten weiterhin dadurch, dass es das sogenannte Werkstatt- und Prognoserisiko betont und bestätigt, dass dieses Risiko die Schädigerseite zu tragen hat.

Der Geschädigte hat auf die Durchführung der Reparatur kaum Einfluss. Kommt es bei der Reparatur zu Verzögerungen so gehen daraus resultierende Nachteile und Kostensteigerungen – unabhängig von der Frage des Verschuldens der Werkstatt – nicht zulasten des Geschädigten. Dieser kann auch die höheren Mietwagenkosten – resultierend aus einem längeren Ausfall – von der unfallgegnerischen Versicherung einfordern.

Der Versicherung bleibt es dann unbenommen, sollte sie dies für gerechtfertigt erachten, beim Autovermieter den Regress zu versuchen. In der Praxis geschieht dies allerdings höchst selten und meistens ohne Erfolg.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Gutachter bezüglich der Reparaturdauer lediglich eine Prognose abgibt. Es ist durchaus nicht selten und damit schadenersatzrechtlich zurechenbar, dass bei der Reparatur Abweichungen und Verlängerungen auftreten.

Hintergrund

Der Kläger forderte vor dem AG Ulm Mietwagenkosten resultierend aus einem Haftpflichtschaden, für welche die beklagte unfallgegnerische Versicherung eintrittspflichtig war, ein.

Vorgerichtlich bestritt die Beklagte die Erforderlichkeit der Anmietung unter anderem deshalb, weil beim Kläger ein geringer Fahrbedarf vorgelegen hatte. Außerdem wandte die Beklagte ein, nachdem die Reparatur länger als prognostiziert gedauert hatte, der Kläger hätte sich vorab danach erkundigen müssen, dass die Reparatur zielgerichtet durchgeführt werde.

Das AG Ulm sah dies allerdings anders und sprach weitere Mietwagenkosten zu.

Aussage

Zur Erforderlichkeit der Mietwagennutzung stellte das AG Ulm fest:

„Die Erforderlichkeit der Mietwagennutzung scheitert auch nicht daran, dass der Kläger mit dem Mietfahrzeug täglich weniger als ca. 20 Kilometer zurückgelegt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH (VI ZR 290/11) gelten "20 Kilometer pro Tag" als Faustregel. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch Fälle existieren, bei denen es für den Unfallgeschädigten auf die ständige Verfügbarkeil eines Mietwagens ankommt. Insbesondere wenn, wie vorliegend unstreitig, der Kläger in einem ländlichen Gebiet wohnt, ist ein Mietwagen auch dann erforderlich, wenn die Fahrleistung von 20 Kilometer pro Tag nicht erreicht wird (Vgl. hierzu LG Stendal 22 S 86/05). Unstreitig wohnt der Kläger in einem kleinen Dorf. Die Busanbindung ist dort unstreitig mangelhaft. Dem Kläger ist es daher nicht zuzumuten, auf die ständige Verfügbarkeil eines Fahrzeugs zu verzichten. Die Erforderlichkeit des streitgegenständlichen Mietfahrzeugs ist unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, zumal die zurückgelegte tägliche Kilometerstrecke nur geringfügig unterhalb der vom BGH genannten Faustregel von 20 Kilometern liegt.“

Zur Frage der Anmietdauer und deren Erforderlichkeit führt das Gericht aus:

„Ein Anspruch auf Bezahlung von Mietwagenkosten besteht für den Zeitraum der durchgeführten Reparatur. Durch Vorlage des unterzeichneten Reparaturablaufplans hat der Kläger den Nachweis erbracht, dass der Reparaturbeginn am 04.12.2017 lag, das Fahrzeug wurde am 06.12.17 zur Lackiererei gegeben und kam von dort am 08.12.2017 zurück, die Reparatur dauerte letztendlich bis 11.12.2017. Soweit die Beklagtenseite darauf abstellt, es seien allenfalls 5 Arbeitstage ausreichend und erforderlich gewesen, der Kläger hätte sich vorab danach erkundigen müssen, dass die Reparatur zielgerichtet innerhalb dieses Zeitraums, wie vom Sachverständigen prognostiziert durchgeführt wird, das Fahrzeug hätte bereits am 08.12.2017 nach Rückführung von der Lackiererei vom Kläger übernommen werden müssen, ist der Vortrag unerheblich. Das Werkstatt- bzw. bezüglich der durchgeführten Reparatur trägt nicht der Kläger als Geschädigter, sondern die Beklagte (vgl. OLG München 10 U 441/18). Etwaige Verzögerungen bei der Reparatur gehen daher nicht zu Lasten des Klägers. Laut Reparaturablaufplan dauerte die Reparatur aber bis 11.12.2017. Die Mietwagenkosten sind daher für diesen Reparaturzeitraum erforderlich im Sinne von § 259 BGB.“

Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. -BVSK-

Telefon 0800 500 50 25

 
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